Am 19. Juni 2021 hat der Biosphärenpark Wienerwald anlässlich des Tag der Artenvielfalt in der Wienerwald-Gemeinde Eichgraben kurz vor Einbruch der Dämmerung zur Nachtführung geladen. Wir sind mit rund 20 TeilnehmerInnen – die eine Hälfte Erwachsene, die andere Hälfte Kinder - beim Treffpunkt in der Alten Gärtnerei und werden mit den NaturpädagogInnen Silvia Wilde und Clemens Endlicher die Route vom Viadukt bis hinauf zum Nagelberg bewandern. Wir sind in freudiger Erwartung – werden wir Fledermäuse hören oder sogar sehen können? Werden wir seltene Arten finden? Gibt es Spannendes bei den aufgebauten Leuchttürmen zu beobachten?
Clemens begrüßt die Gruppe, gibt ein paar Erklärungen zum Ablauf der Führung und erzählt über seine Erfahrungen beim Tag der Artenvielfalt, an dem er schon viele Jahre teilnimmt. Dann setzen wir uns in Bewegung, wo wir gleich nach den ersten Metern auf unser erstes Highlight stoßen.
Rund 20 TeilnehmerInnen finden sich für die Nachtführung der Route 1 zusammen, wo sie von den NaturpädagogInnen Silvia Wilde und Clemens Endlicher begrüßt werden.
Die Biberfamilie und ihr selbst gebauter Staudamm
Beim Viadukt angekommen, macht sich vor allem bei den jungen TeilnehmerInnen große Aufregung breit: Im Nagelbach schwimmt ein Biber-Junges im Wasser! Tatsächlich wohnt hier eine 3-köpfige Biberfamilie, die einen rund 1,5 m hohen Staudamm errichtet hat. Wenn Wasser zu schnell fließt oder es zu wenig Wasser gibt, stauen Biber das Wasser auf, erfahren wir von Silvia Wilde. Außerdem weiß die Naturpädagogin noch vieles über Biber zu berichten: Zum Beispiel über das Bibergeil, ein im Körper des Bibers produziertes, talgartiges, bräunliches und stark riechendes Sekret, das für die Fellpflege und zum Markieren der Reviergrenzen verwendet wird. Außerdem erfahren wird, dass der Biber früher wegen seinem Fell und Fleisch stark bejagt wurde und rund 100 Jahre in Österreich ausgestorben war. Erst vor ca. 60 Jahren wurde er wieder eingebürgert. Silvia lässt die Kinder ein mitgebrachtes, echtes Biberfell betasten und erzählt, dass der Nager auf einer Fläche in der Größe eines kleinen Fingernagels rund 22.000 Haare hat!
Silvia Wilde lässt die Kinder ein echtes Biberfell betasten! Rund 22.000 Haare hat ein Biber auf einer Fläche eines Fingernagels.
In den Fußstapfen der großen ForscherInnen
Weiter geht es vom Viadukt rauf Richtung Nagelberg. Wir stoßen auf eine weitläufige Wiese, entlang derer die Wiener Hochquellwasserleitung verläuft. Bei einem großen, prächtigen Wildapfel-Baum machen wir Halt. Nun dürfen die Kinder selbst zur Forscherin bzw. zum Forscher werden. Clemens schlägt vor, alles, was wir auf der Wiese an Vielfalt finden zusammenzutragen und dann gemeinsam zu bestimmen. Mit Becherlupen bewaffnet schwirren die Kinder aus! Voller Begeisterung suchen sie nach unterschiedlichen Pflanzen, Sträuchern und Insekten und zeigen stolz ihre Schätze. Eine beachtliche Vielfalt wird zusammengetragen: Neben Zikaden, Gelsen, Spinnen, Grashüpfern, Scheinbockkäfer, Libelle und Widderchen wurden bei den Pflanzen u.a. die Traubenkirsche, Schwarzer Holler, Esche, Haselnuss, Walnuss, Pappel, Clematis, Weißdorn, Brombeere, Roter Hartriegel und Faulbaum entdeckt. Clemens weiß auch zu jedem Falter, jedem Strauch und jeder Blume eine spannende Geschichte und man merkt, wie seine Begeisterung auf die jungen und erwachsenen TeilnehmerInnen übergeht.
Die jungen TeilnehmerInnen der Nachtführung werden selber zur/zum ForscherIn und zeigen voll Stolz ihre gesammelten Schätze.
Richtiges Verhalten auf Wald & Wiese
Außerdem gibt es von den zwei NaturpädagogInnen einen Crash-Kurs zum richtigen Verhalten in Wald & Wiese: Es wird darauf hingewiesen, dass Hundekot kein Dünger für die Wiese ist, sondern eine Verschmutzung und daher für LandwirtInnen und ihre Tiere ein echtes Problem darstellt. Ebenso soll man beim Wandern und Spazieren auf den Wegen bleiben und ungemähte Wiesen dürfen nicht betreten werden.
Anhand der auf der Wiese gesichteten Pflanzenarten Mädesüß, Johanniskraut und Betonie verdeutlichen Silvia und Clemens den Zusammenhang von Artenreichtum und extensiver Bewirtschaftung: Diese Blühpflanzen wachsen nur auf Magerwiesen! Wird die Wiese zu oft gemäht oder zu intensiv gedüngt, verschwinden diese Pflanzen. Zudem sind auch Tiere, die auf artenreichen Wiesen grasen, gesünder und ihre Milch schmackhafter.
Die Gruppe trägt eine beachtliche Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten zusammen. Clemens weiß zu vielen Arten eine spannende Geschichte.
Fledermäusen auf der Spur
Die Nachtführung führt uns am Nagelberg weiter in den Wald, wo wir auf die FledermausexpertInnen der KFFÖ (Koordinationsstelle für Fledermausschutz und -forschung) stoßen. Sechs, ca. 9 mal 4 Meter große Fledermausnetze haben die ForscherInnen im Wald aufgespannt. Die Fledermausexpertin Katharina Bürger berichtet uns, dass sie bereits eine Mopsfledermaus gefangen haben. Da es sich aber um ein trächtiges Weibchen handelte, wurde sie sofort wieder frei gelassen. Denn zu viel Stress ist auch für werdende Fledermaus-Mütter alles andere als gut. Wird eine Fledermaus gefangen, wird ihre Art bestimmt, sie wird gemessen, gewogen und dann sofort wieder frei gelassen.
Obwohl während unserer Führung keine weitere Fledermaus ins Netz geht, spitzen sowohl die Kinder, als auch die Erwachsene gespannt die Ohren, wenn Katharina Bürger ihr Wissen über diese spannenden Tiere weitergibt. Sie erklärt uns, dass Fledermäuse im Wald sehr schwierig zu fangen sind, aber sich dort auch die spannendsten Arten befinden. Sie zeigt uns, wie ein Detektor funktioniert, mit dem man die Rufe der Fledermäuse hören kann, die sie zur Orientierung ausstoßen. Außerdem berichtet sie uns, dass grundsätzlich alle Fledermäuse geschützt sind und erzählt uns noch über Lebensweise, Fortpflanzung und spannende Arten wie Mausohr, Abendsegler und Nord-Fledermaus.
Später in der Nacht werden den Fledermaus-ExpertInnen noch drei Exemplare des Großen Mausohrs, eine Bechsteinfledermaus und eine Bartfledermaus in ihre Netze fliegen.
Die ForscherInnen des KFFÖ spannten sechs, rund 9 mal 4 Meter große Fangnetze im Wald.
Leuchttürme im finsteren Wald
Die letzte Etappe der Nachtführung führt uns zu einem der aufgestellten Leuchttürme, mit denen die ExpertInnen Nachtfalter anlocken und sichtbar machen. Dort werden wir vom Forscher Rudi Eis empfangen. Er berichtet uns, dass der kalte Mai auch bei den Faltern die Entwicklung etwas verzögert hat. Dennoch haben sich schon einige Arten ein gemütliches Plätzchen am Leuchtturm gesichert: Rudi Eis zeigt uns den Kleinen Weinschwärmer, die auf Eichen lebende Orion-Eule, den Nachtschwalbenschwanz, das Jägerhütchen, den Brennesselzünsler und die Ligustereule, deren Raupen sich überwiegend von den Blättern des Ligusters ernähren. Geduldig geht er auf die vielen Fragen ein und freut sich sichtlich über das rege Interesse.
Plötzlich herrscht Aufregung und Begeisterung unter den jungen TeilnehmerInnen: Jemand hat zwei Fledermäuse am Himmel gesichtet! So kommen wir doch noch zu unseren Fledermäusen. Inzwischen ist es 23.00 Uhr! Die Kinder sind zwar müde, aber happy und ein wenig aufdreht ob der vielen Eindrücke. „Ich bin so froh, dass wir doch noch Fledermäuse gesehen haben!“, freut sich der 9-jährige Martin. „Außerdem habe ich einen tollen Käfer gefangen mit der Becherlupe. Das war richtig cool!“.
Begeisterung bricht aus - letztendlich konnte doch noch eine Fledermaus am Himmel gesichtet werden.
1.336 Artenfunde beim Tag der Artenvielfalt in Eichgraben
Beim Tag der Artenvielfalt waren dieses Jahr rund 70 ExpertInnen beteiligt, die am 18. Und 19. Juni durch das Eichgrabener Gemeindegebiet durchstreiften, um innerhalb von 24 Stunden möglichst viele Tier-, Pflanzen- und Pilzarten zu finden. 1.336 Arten (vorläufige Zahl ohne Nachbestimmungen) wurden heuer entdeckt! Bei den Tierfunden begeisterten die ForscherInnen vor allem das Vorkommen der gelb gezeichneten, größten europäischen Libelle Große Quelljungfer (Cordulegaster heros). Die etwa 10 cm große, EU-geschützte Art braucht saubere Fließgewässer und lebt an schönen, nicht verbauten Wienerwald-Bächen. Außerdem wurde die Alpine Gebirgsschrecke (Miramella alpina collina) entdeckt. Die hauptsächlich im Gebirge vorkommende, etwa 2 cm große Heuschrecke kann nicht fliegen und kommt als Tieflandform auch im Wienerwald vor. Der Zunderschwammkäfer (Bolitophagus reticualtus) wohnt in großen alten Zunderschwämmen auf Totholz und entwickelt seine Larven im Schwamm-Inneren. Außerdem konnte die schwarz-rot gefärbte, räuberische Mordwanze (Rhynocoris annulatus) gefunden werden, die sich durch die Klimaerwärmung immer mehr bei uns ausbreiten dürfte.
1.336 Arten wurden von den rund 70 ForscherInnen innerhalb von 24 Stunden im Eichgrabener Gemeindegebiet entdeckt.
Bei den Pflanzenarten wurden vor allem an den langgezogenen Waldrändern viele Arten entdeckt: So konnte auf wechselfeuchten Wiesen in westlichen Teil von Eichgraben im Niedermoor das selten vorkommende Breitblatt-Wollgras (Eriophorum latifolium) und das österreichweit gefährdete Moor-Blaugras (Sesleria uliginosa) gefunden werden. Weitere spannende Pflanzenfunde gab es auf den mageren, wechselfeuchten Wiesen im östlichen Teil von Eichgraben, wie die Pannonien-Platterbse (Lathyrus pannonicus), das Nord-Labkraut (Galium boreale), sowie auf trockeneren Wiesen die Karthäeuser-Nelke (Dianthus carthusianorum) und das Trübgrüne Gewöhnlich-Sonnenröschen (Helianthemum nummularium subsp. obscurum).
Aufgrund der Trockenheit in den Wintermonaten und einer dicken Laubschicht im Wald gab es für die PilzexpertInnen nicht so viele Funde. Jedoch wurden die ersten Sommersteinpilze (Baletus reticulartus) sowie die Speisepilze Flockenstieliger Hexenröhrling (Neoboletus praestigiator) und der Lungenseitling (Pleurotus pulmonorius) entdeckt. Generell wurden mehrere Schadpilze auf Blütenpflanzen gefunden, wie der Echte Mehltau der Nachtkerze und die Schrotschußkrankheit (Stigmina carpophila) auf Kirschbäumen.
Der Tag der Artenvielfalt 2021 des Biosphärenpark Wienerwald Managements wird vom Land Niederösterreich sowie aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes gefördert.